Sonntag, 29. Januar 2017

Der lang ersehnte Anruf - Reloaded

Der lang ersehnte Anruf – Reloaded

Ich habe mich lange nicht gemeldet. Das hat einen Grund. Am 11. Januar um 02:12 Uhr bimmelte auf einmal das Smartphone. Ich war verwirrt. Habe ich meinen Weckton umgestellt? Mein Freund guckt drauf und sagt nur „Münster!“. Jetzt wurde ich nervös. Erst vor ungefähr drei Monaten wurde ich nach etlichen Stunden nach Hause geschickt. Ich ging dran und es begrüßte mich eine sympathische Frauenstimme: „Frau Kordic, wir haben für Sie eine Niere angenommen. Wie sieht es aus?“ Ich, noch total verschlafen, weil ich erst zwei Stunden zuvor ins Bett gekommen bin, antworte nur: „Ich bin dabei. Ich werde nochmal in Ruhe duschen gehen und dann kommen wir.“ Sie erklärt mir wo ich hinsoll und ich antworte nur: „Ich weiß. War ja erst im Oktober da. Wir sehen uns dann nachher!“. Ich stand also auf, mein Freund Hélder (der beste Mann überhaupt) nimmt mich in den Arm und ich fange einfach an zu heulen. Die Angst ist da, dass es wieder nicht hinhaut. Dass ich wieder nach Stunden nach Hause geschickt werde. Was sagt mein Freund? „Dann sind eben aller guten Dinge drei.“ Ich hasse ihn für seinen Optimismus. Ich ging also ins Bad und ließ mir etwas Badewasser ein und duschte in aller Ruhe. Die nächsten Tage mit all den Schläuchen wird das so nicht möglich sein. Währenddessen packt Hélder die Tasche. Ja, ich hatte immer noch keine Tasche gepackt, aber wir waren so routiniert, dass wir sehr flink waren. Ich kam aus dem Bad und Hélder fönte mir die Haare, weil mir dabei immer schwindlig wird. Dann zog ich mir meinen Dialysedress an und wir fuhren los. Die Fahrt verlief wie schon im Oktober schweigsam. Das einzige was wir hörten war das Album „Immortalizsation“ von Disturbed. Das brauchen wir anscheinend auf der Fahrt nach Münster immer.

Wir kamen an. Ich nahm diesmal nur mein Smartphone mit. Schließlich mussten wir die Whatsappgruppe von Oktober wieder reanimieren und alle bei Laune halten. Dieses mal kam ein super humorvoller Pfleger auf mich zu und legte den Zugang mit einer Nadel für Babies. Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber meine Gefäße sind einfach zu zart für Nadeln. Er machte dabei glatt ein Blutbad. Schöne Scheiße! Meine Jogginghose, die Gott sei Dank schwarz war, wurde Blut überströmt. Aber was ich nicht sehe, sieht bestimmt auch kein anderer. Er wischte den Boden und meine Arme, um den Anschein eines Mordes zu vertuschen.

Es ging weiter mit EKG, Röntgen, same procedure. Ihr wisst schon. Dann kam eine sehr motivierte Ärztin. Sie sprach wieder mal von einer Full-House-Niere aus Österreich. Diese soll am 11.01. um ca. 14 Uhr explantiert werden und dann auf dem schnellsten Weg nach Münster kommen. Wir hatten also noch viele Stunden vor uns. Viele Stunden in denen man mich wieder nach Hause schicken kann.

Auf Intensiv kam ich zu einer 70-Jährigen ins Zimmer, die einen Tag zuvor eine Niere erhielt. Sie war sehr nett und wir unterhielten uns etwas, da wir beide auf Grund ihres Monitors nicht schlafen konnten. Ihr Herz schien Purzelbäume zu schlagen. Nicht gut. An Schlaf war bei mir aber eh nicht zu denken, da es hieß ich käme am frühen Morgen noch an die Dialyse und an die Plasmapherese. Wir haben schließlich alle Zeit der Welt. Da kann man den Patienten auch perfekt vorbereiten.

Ich wurde mit einem Rollstuhltransport in der Chirurgie abgeholt. Ich, nichtsahnend, dass ich noch in einen anderen Rollstuhl draußen steigen muss, setze mich in Socken rein. Draußen am Rettungswagen dann die Erkenntnis: oh, mit meinen weißen Socken auf dreckigem Boden schnell in den anderen Rollstuhl. Das kann bei einer Nachtblinden nur schief gehen. An der Dialyse angekommen und mich der Socken entledigt, faseln natürlich alle davon, dass dies nun die letzte Dialyse sei usw. Ich war vollkommen übermüdet und mein Blutdruck verabschiedete sich regelmäßig. Ich hatte Hunger, Durst und wenn ich dann noch müde bin, ist vorbei ;) An der Dialyse lief alles ohne Fehlpunktion. Ich war begeistert. Hélder brachte mir ein frisches Paar Socken direkt an die Dialyse. Danke! Die Plasmapherese ist quasi wie Dialyse nur viel lauter. Es klingt die ganze Zeit wie ein Schleudergang einer Waschmaschine und mit melodisch haben die Alarme nichts zu tun. Man denkt eher an ein Nebelhorn, dass Alarm schlägt. Zudem wird man richtig durchgeschüttelt und friert. Ich zumindest.

So langsam wurde ich nervös. Wann geht es los? Wann kommt vor allem endlich der Anästhesist? Gegen frühen Abend kam ein Arzt und sagte mir jetzt käme alles darauf an, ob wir noch einen Linienflug kriegen. Die Transplantation findet zwischen 3 und 12 Uhr am 12.01. statt, mein Namenstag. Ich war immer noch hungrig, durstig und müde. Doch bevor sich das klärte wurde versucht Blut abzunehmen. Am Handgelenk, an den Händen, an den Füßen (warum glaubt mir eigentlich keiner, dass man an meinen Füßen nichts kriegt?) und dann nimmt die Gute noch zu wenig aus der Hand ab und muss 10 Minuten später nochmal was abzapfen. Klasse! Kaum war sie aus dem Zimmer, kam eine Schwester mit dem tollen Einlauf. Diesmal hatte ich keinen zum Händchenhalten, aber es verliert von mal zu mal seinen Schrecken.

Der Anästhesist kam und um 6 Uhr morgens, die Niere lag mittlerweile 16 Stunden auf Eis, ging es los. Im Vorbereitungsraum angekommen wurde ich gefragt was ich denn da wolle. Reine Absicherung. Ich meinte: „Ich glaube ich soll eine Niere transplantiert bekommen.“ Die Schwester nickte und alle freuten sich mit mir. Nachdem die Narkoseschwester mir riet ich solle an meinen nächsten Kroatienurlaub denken, schlief ich auch recht schnell ein.
Irgendwann wurde ich zwischen zwei Männern im Aufwachraum wach und dann ging es zurück auf Intensiv.

Wir hatten etwas Probleme mit meinem niedrigen Blutdruck. Der wurde über ein tolles Mittelchen über die Infusion gesteigert. An dem Tag schlief ich nur noch. In der Nacht wurde ich zweimal geweckt. Ich solle Resonium trinken. Ein Mittel um das Kalium zu senken. Toll, soll das nicht die Niere machen? Während meiner ganzen Dialysezeit hatte ich nie Probleme mit Kalium und musste nie diesen Ekelkram trinken und jetzt? Da wurde mir klar: irgendwas läuft hier schief. Am nächsten Tag wurden meine Befürchtungen bestätigt.

Beim Ultraschall sagte ein Arzt: „Dann schauen wir uns mal den Halbling an.“ Ich nur: „Haben Sie gerade meine Niere als Hobbit bezeichnet?“ Er: „Wenn Sie meinen!“ Mein Kommentar nur: „Darf ich vorstellen? Ihr Name ist Bilbo Beutlin.“

Nun hieß es die nächsten Tage abwarten und gucken, wann Bilbo anfängt zu arbeiten. Ich probierte alle möglichen Schmerzmittel durch, da ich übelste Probleme mit dem Blasenkatheter hatte. Mir ging es so schlecht, dass ich den angekündigten Besuch von meiner Schwester, Schwager und Bruder ablehnte, da ich sowas von gar nicht in Stimmung war.

Am 15.01. war es dann soweit: ich soll nochmal an die Dialyse. So habe ich mir das transplantiert sein nicht vorgestellt. 2001 lief alles super. Ich konnte sofort viel trinken und alles essen. Diesmal blieb es bei den ganzen Einschränkungen und jetzt auch noch Dialyse. Ich ahnte jedoch da noch nicht, dass das Schlimmste der Transport zur Dialyse ist. Ich und mein Blasenkatheter. Ich verfluche ihn. Bei jedem Ziepen schmerzt er ungeheuerlich. Was soll man schon von einer Blase erwarten, die gerade mal ein Fassungsvermögen von 100 ml hat. Ist halt alles ziemlich eng. Dass der Transport aber gerne mal mit der Trage Türen und jede erdenkliche Bodenwelle mitnimmt, ist für mich nicht unbedingt von Vorteil. Ich ließ die Dialyse über mich ergehen. Hélder kam mit Statistiken an, wonach bei 25 % der postmortalen und bei 5 % der Lebendspenden die Nieren nicht sofort anspringen. Das beruhigte mich kein Stück. Es begann eine volle Woche Dialyse, die nur durch einen freien Tag unterbrochen wurde an dem eine Biopsie gemacht wurde. Abends gab es das erste Ergebnis: ich habe eine Abstoßung. Von nun an hieß es erstmal weiter Dialyse und Plasmapherese. Also erst gemütlich Wasser ablassen und dann frieren und durchgeschüttelt werden. Gott sei Dank lernte ich nette Leute an der Dialyse kennen. Die Dialyse gab mir Struktur und Sicherheit. Während ich auf dem Zimmer nie wusste mit welchen Hiobsbotschaften die Ärzte um die Ecke kämen, wusste ich was mich an der Dialyse erwartet. Ich lag zwischenzeitlich 13 kg über meinem Sollgewicht und fühlte mich wie das berühmte Michelinmännchen. Dazu noch die ganze Zeit in sexy Nachthemden, weil eine Hose an diesem Blasenkatheter würde ich schmerzskalenmäßig nicht aushalten. Ein tolles Team und ab und an auch Medizinstudenten, die bei mir wahlweise Lupus, eine Aortenklappeninsuffizienz oder auch einen Pneumothorax diagnostizierten. Da kann ich ja froh sein, dass ich nur eine Niere bekommen habe.

Am 17.01. kam ich auf die Normalstation. An sich ein Fortschritt, wenn man aber regelmäßig frisch Transplantierte auf das Zimmer kriegt bei denen alles super läuft ist es einfach bitter. Vor allem wenn man Luxusprobleme mithört wie: „Oh mein Gott, ich muss heute noch mindestens 1,5 l trinken.“ oder auch mein anderer Favorit „Ach, dann nehme ich mal eine Banane. Die habe ich so ewig nicht gegessen.“

Die Plasmapherese schien zu helfen. Aus 50 ml Ausscheidung wurden 90. Ein voller Erfolg redete man mir ein. Ich war sagen wir mal dezent optimistisch. Nach dem Kreatinin traute ich mich gar nicht erst zu fragen und als meine Schwester mir Reste ihres Geburtstagskuchens mitbrachte verschmähte ich ihn. Lediglich ein paar Bissen vom Nudelsalat nahm ich zu mir. Boah, war der lecker. Durch die Tonnen Cortison über die Infusion verlor ich sämtliche Geschmacksnerven. Das einzige was ich schmeckte war süß, aber Hunger hatte ich sowieso keinen. Den Vogel schoss mein Bruder ab. Er backte das erste mal in seinem Leben einen Kuchen für mich, auf Grund eines Missverständnisses. Auch diesen musste ich verschmähen. Sorry! Aber wenn ich irgendwann entlassen werden sollte, nehme ich gerne eine Kostprobe.

Am 23.01. war die vorerst letzte Dialyse. Mir ging es danach richtig schlecht und ich war kreidebleich. Mein Hb war bei 7,1. Als am nächsten morgen die Schwester meinte ich sei noch bleicher, nahm sie gleich nochmal Blut ab: ein Hb von 5,7. Das hieß im Laufe des Tages wird es Blutkonserven geben. Mein erstes mal und ich hoffe in Zukunft kann ich wieder auf Epo zurückgreifen. Ich musste danach immer aufstoßen und da es durch den ZVK im Hals in den Körper lief war das alles etwas arg unangenehm und ich hatte das Gefühl ich habe nun einen Blut- und nicht mehr den Wasserbauch. Aber ich war wieder fit.

Ich bin nun eine Woche dialysefrei und bin nur noch 9 kg über meinem Sollgewicht. So langsam arbeitet Bilbo und seit drei Tagen trauen sich sogar die Ärzte mir meinen Kreatinin zu verraten. War er am 26. noch bei 4,9 ist er heute am 29.01. schon bei 3,3. Am 26. war auch die vorerst letzte Plasmapherese. Im Nachgang gab es wieder mal Rituximab. Ich bekam es vor vier Jahren bei einer Abstoßung in Heidelberg. Ich vertrage das Zeug gut. Die einzige Nebenwirkung ist Müdigkeit und da die kleine Chemo so um die 7 Stunden dauert, verging so die Zeit wie im Fluge.

Seit gestern bekomme ich endlich normales Essen. Die Trinkbegrenzung ist immer noch bei einem Liter, aber das ist nur halb so schlimm, wenn man wenigstens keine gewässerten Kartoffeln mehr essen muss. Aus dem Grund verschmähe ich die Suppen noch. Hélder wird mich, wenn ich entlassen werde, neu kennenlernen. Ich bin ein richtiger Suppenkasper. Das war während der Dialysezeit alles keine Option. Wir reden schon über einen Essensplan. Bei meiner Mutter habe ich schon Nudelsuppe mit Eierstich bestellt und als sie meinem Bruder am 28.01. eine Portion Nudeln mit Bolognese mitgab, war es eine Offenbarung. Das Kalium ist schon länger konstant unter 4, also kein Problem. An eine Banane habe ich mich allerdings noch nicht getraut. Der 28. war sowieso ein super Tag. Ich wurde mit der Zahl 1400 ml Ausscheidung geweckt. Erster Meilenstein erreicht. Hélder und ich haben ausgemacht, dass wenn ich die 1000 ml knacke, er mir nach 3 Jahren Abstinenz einen „White Chocolate“ von McCafé mitbringt. Gesagt, getan! Heute waren es nur 1120 ml, aber ich bin mir sicher, Bilbo wird mich morgen hoffentlich wieder positiver überraschen. Bei 1500 ml gibt es eine Bananenmilch. Man muss sich schließlich kleine Ziele setzen. Das einzig Blöde: ich hab es nicht in der Hand. Ich kann nur auf Bilbo vertrauen.

Eine tolle Überraschung bekam ich von meiner lieben Jenny. Nachdem Hélder und ich schnell merkten, dass das Buch „Eine neue Niere ist wie ein neues Leben“ nicht so tolle Lektüre ist, wenn die Niere nicht optimal funktioniert, waren wir erleichtert als Jennys Erstlingswerk „Alle hören auf Daffy, nur Daffy nicht – Abenteuer Blindenführhündin“ bei uns eintrudelte. Damit haben wir so viel zu lachen und es lenkt von den alltäglichen Sorgen ab.

Aktuell bin ich immer noch stationär, doch mittlerweile blicke auch ich optimistisch auf das Jahr. Morgen wird der ZVK gezogen und ich hoffe wir bekommen mein Hb-Problem in den Griff. Der ist nämlich wieder nur bei 6 *grml Ansonsten hoffe ich, dass ich die nächsten Tage meinen Blasenkatheter loswerde. Ich will endlich wieder eine Unterhose und meine nicht mehr Blut verschmierte Jogginghose anziehen, wie normale Menschen. Des Weiteren bleibe ich wegen meiner Blindheit häufiger mal mit den Strippen hängen. Das ist schmerzhaft.

Nun geht es auch daran zu schauen, wann es wie in Anschlussheilbehandlung geht. Unser Plan ist es, dass Hélder und ich gemeinsam gehen. Er muss schließlich jetzt auch erstmal lernen wie es ist mit einer frisch Transplantierten zusammen zu leben. Dazu passend findet am 18.02. mal wieder ein Patientenseminar in Münster im Schloss von der UKM statt. Wir werden die Workshops „Ernährung nach Transplantation“ und „Langzeitrisiken nach Transplantation“ besuchen. Ja, ich gehe davon aus, dass ich bis dahin zu Hause bin und vor allem wieder in Klamotten.

Meine Wünsche sind, dass das Kreatinin weiter fällt und der Hb als auch die Ausscheidung steigt. Vor allem aber bedenkenlos trinken und essen. Ich hoffe mein Shunt hat die nächsten Jahre erstmal Ruhe und darf sich ausruhen. Er ist schließlich schon 17 Jahre alt. Kein junger Hüpfer mehr. Bedeutet aber auch, dass hier erstmal keine neuen Dialysebewertungen mehr hinkommen ;)

Ich möchte mich bei meiner ganzen verrückten Family bedanken. Auch für die vielen witzigen Geschenke. Mittlerweile habe ich mich sogar an einen Duplo getraut. Ich weiß, ihr wartet jeden morgen gespannt auf die Ausscheidungsnews des Tages. Ohne euch wäre es echt nicht auszuhalten auch wenn wir paar Ausfälle wegen Krankheit hatten. Ihr seid die Besten! Ich hab euch alle ganz doll lieb und irgendwann knutsche und knuddel ich euch auch alle wieder!

Eure Tajci

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